

Der Millionste
Von Menschen und durchkreuzten Plänen
Willkommen im Multimedia-Guide der Sonderausstellung. Hier werden Hintergrundinformationen zu den ausgestellten Themeninseln angeboten. Die Ausstellung kann vom 30.10.2024 bis zum 18.11.2024 im Landtag Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf besichtigt werden.
Das Jubiläum zur Ankunft des „millionsten Gastarbeiters“ Armando Rodrigues de Sá 1964 erinnert an die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte Westdeutschlands und würdigt die dafür geleisteten Beiträge der Arbeitsmigrant*innen.
Der Anlass, der dazu seit nunmehr sechzig Jahren gewählt wird, stellt mit der Million eine Zahl in den Mittelpunkt. Diese Zahl sagt, dass Migration messbar ist. Und was zähl- und messbar ist, scheint auch kontrollierbar zu sein. Die These der Ausstellung "Der Millionste. Von Menschen und durchkreuzten Plänen" lautet daher, dass sich in diesen Würdigungen und Ehrungen immer auch die Vorstellung der Plan- und Steuerbarkeit von Migration ausdrückt.
Doch gerade die Anwerbepolitik in der Ära des westdeutschen „Wirtschaftswunders“ lief aus heutiger Sicht nicht nach Plan. Die Anwerbung war temporär gedacht, führte aber zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen: Viele Menschen blieben und Deutschland wurde zur Einwanderungsgesellschaft, wie wir sie heute kennen.
Durch die Gegenüberstellung von kleinen und großen, persönlichen und offiziellen, bekannten und unbekannteren Geschichten erzählt die Ausstellung von Plänen dieser Zeit – aber auch davon, wie sie durchkreuzt wurden.
“Wir sollten mobil bleiben und stets geschmückt.”
10.9.1964, Bahnhof Köln-Deutz, Blitzlichtgewitter und Applaus. Bild-Ikonen und künftige Betitelungen wie die Worte „millionster“ und „Gastarbeiter“ entstehen. Zu sehen sein werden der just aus Portugal angekommene „millionste Gastarbeiter“ Armando Rodrigues de Sá und das ihm überreichte Geschenk, ein zweisitziges Moped der Marke Zündapp.
Der Anlass und die dazu geschossenen Bilder werden bis heute als Abbildungen zur Arbeitsmigration nach Westdeutschland reproduziert – und in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. So wird beispielsweise Kritik an der weitgehend unbekannt bleibenden Lebens- und Sterbensgeschichte von Rodrigues de Sá und den fehlenden alternativen visuellen Darstellungen dieser Zeit laut. Die Inszenierung Deutschlands als beschenkendes, willkommen heißendes Land – eine Maßnahme, die auch zur Beruhigung von Unternehmen ergriffen wurde – blendet die davon abweichend erfahrenen Lebensrealitäten der Eingewanderten und ihrer Nachkommen aus. Auch der Aufnahmeort des Bahnhofs, Sinnbild der Mobilität, lohnt einen zweiten Blick, da er nicht nur auf das Ankommen, sondern auch auf das wieder Weggehen der Arbeitsmigrant*innen zu verweisen scheint. Diese gegenwärtigen Rezeptionen zeugen von einem sich verändernden Umgang mit der Erinnerungskultur zur Migration nach Deutschland.
BLUMEN
Ich habe vor mir
das Bild des – Betrogenen –:
Millionster Gastarbeiter
in Köln, ein ängstlicher Mann,
neben vielen lächelnden Deutschen.
Er bekam damals:
einen Blumenstrauß
und ein Motorrad.
Erst jetzt bemerke ich,
daß schon damals
die Weichen der heutigen
Ausländerpolitik gestellt wurden:
- Blumen waren die Bezahlung
für unsere Arbeit.
- Das Motorrad war
die Rückkehrprämie
für den ermüdeten Gastarbeiter.
Wir sollten mobil bleiben und stets geschmückt.
Sag mir, wo die Blumen sind!
Manuel Salvador da Silva Campos, 1982
