Ein Farbfoto zeigt einen jungen Mann mit verschränkten Armen, der vor einem weißen VW Käfer lehnt. Der Mann trägt ein kariertes Hemd und dunkle Hosen. Der Käfer hat Hamburger Kennzeichen und Aufkleber auf der Rückseite.
Josip A. besucht 1974 seine Familie im heutigen Kroatien – mit seinem eigenen Auto.
Ankica and Josip A. / DOMiD-Archiv, Köln

Der Millionste

Von Menschen und durchkreuzten Plänen

Willkommen im Multimedia-Guide der Sonderausstellung. Hier werden Hintergrundinformationen zu den ausgestellten Themeninseln angeboten. Die Ausstellung kann vom 30.10.2024 bis zum 18.11.2024 im Landtag Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf besichtigt werden. 

Das Jubiläum zur Ankunft des „millionsten Gastarbeiters“ Armando Rodrigues de Sá 1964 erinnert an die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte Westdeutschlands und würdigt die dafür geleisteten Beiträge der Arbeitsmigrant*innen. 

Der Anlass, der dazu seit nunmehr sechzig Jahren gewählt wird, stellt mit der Million eine Zahl in den Mittelpunkt. Diese Zahl sagt, dass Migration messbar ist. Und was zähl- und messbar ist, scheint auch kontrollierbar zu sein. Die These der Ausstellung "Der Millionste. Von Menschen und durchkreuzten Plänen" lautet daher, dass sich in diesen Würdigungen und Ehrungen immer auch die Vorstellung der Plan- und Steuerbarkeit von Migration ausdrückt. 

Doch gerade die Anwerbepolitik in der Ära des westdeutschen „Wirtschaftswunders“ lief aus heutiger Sicht nicht nach Plan. Die Anwerbung war temporär gedacht, führte aber zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen: Viele Menschen blieben und Deutschland wurde zur Einwanderungsgesellschaft, wie wir sie heute kennen. 

Durch die Gegenüberstellung von kleinen und großen, persönlichen und offiziellen, bekannten und unbekannteren Geschichten erzählt die Ausstellung von Plänen dieser Zeit – aber auch davon, wie sie durchkreuzt wurden. 

“Wir sollten mobil bleiben und stets geschmückt.”

10.9.1964, Bahnhof Köln-Deutz, Blitzlichtgewitter und Applaus. Bild-Ikonen und künftige Betitelungen wie die Worte „millionster“ und „Gastarbeiter“ entstehen. Zu sehen sein werden der just aus Portugal angekommene „millionste Gastarbeiter“ Armando Rodrigues de Sá und das ihm überreichte Geschenk, ein zweisitziges Moped der Marke Zündapp. 

Der Anlass und die dazu geschossenen Bilder werden bis heute als Abbildungen zur Arbeitsmigration nach Westdeutschland reproduziert – und in den letzten Jahren zunehmend in Frage gestellt. So wird beispielsweise Kritik an der weitgehend unbekannt bleibenden Lebens- und Sterbensgeschichte von Rodrigues de Sá und den fehlenden alternativen visuellen Darstellungen dieser Zeit laut. Die Inszenierung Deutschlands als beschenkendes, willkommen heißendes Land – eine Maßnahme, die auch zur Beruhigung von Unternehmen ergriffen wurde – blendet die davon abweichend erfahrenen Lebensrealitäten der Eingewanderten und ihrer Nachkommen aus. Auch der Aufnahmeort des Bahnhofs, Sinnbild der Mobilität, lohnt einen zweiten Blick, da er nicht nur auf das Ankommen, sondern auch auf das wieder Weggehen der Arbeitsmigrant*innen zu verweisen scheint. Diese gegenwärtigen Rezeptionen zeugen von einem sich verändernden Umgang mit der Erinnerungskultur zur Migration nach Deutschland.

 

BLUMEN

Ich habe vor mir 

das Bild des – Betrogenen –: 

Millionster Gastarbeiter

in Köln, ein ängstlicher Mann,

neben vielen lächelnden Deutschen. 

Er bekam damals: 

einen Blumenstrauß 

und ein Motorrad. 

Erst jetzt bemerke ich,

daß schon damals

die Weichen der heutigen 

Ausländerpolitik gestellt wurden: 

- Blumen waren die Bezahlung 

für unsere Arbeit. 

- Das Motorrad war 

die Rückkehrprämie 

für den ermüdeten Gastarbeiter. 

Wir sollten mobil bleiben und stets geschmückt. 

 

Sag mir, wo die Blumen sind!

 

Manuel Salvador da Silva Campos, 1982

Eine schwarz-weiß Fotografie, auf der ein Mann auf einem Moped sitzt und leicht unsicher lächelnd in die Kamera blickt. Um ihn herum stehen weitere Menschen.
Der wohl bekannteste Unbekannte der jüngeren Migrationsgeschichte: Armando Rodrigues de Sá
Alfred Koch / DOMiD Archiv, Köln
Ein Farbfoto zeigt ein kleines Mädchen in einem lila Kleid, das auf dem Bürgersteig vor einem Backsteinhaus steht und eine Schultüte hält. Hinter ihr, in der offenen Haustür, steht seine Mutter in einem geblümten Kleid.

Das Heft in der Hand halten

Nicht bleiben, sondern wieder gehen – die zwischen 1955 und 1973 etwa 14 Millionen angeworbenen Arbeitsmigrant*innen sollten und wollten, so die Pläne der meisten Involvierten, nicht in Deutschland einwandern.

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Eine schwarz-weiße Fotografie zeigt eine Gruppe von Menschen, hauptsächlich Frauen, die dicht gedrängt im Freien stehen. Einige halten Schilder oder Transparente. Im Hintergrund sind Bäume und Gebäude zu sehen. Die Szene wirkt lebhaft und angeregt.

Langer Atem

Der Alltag vieler Arbeitsmigrant*innen war (und ist) oft von schwerer körperlicher Arbeit sowie von niedrigen Löhnen, schlechten und überteuerten Unterkünften, Diskriminierung und Rassismus geprägt.

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Eine Farbfotografie zeigt einen Mann, der ein kleines Kind auf dem Lenker seines Fahrrads sitzen hat. Sie fahren auf einem schmalen, unbefestigten Weg vor einem einfachen Gebäude mit mehreren Fenstern und Türen. Beide blicken freundlich in die Kamera.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Den Arbeitsmigrant*innen wurden meist Wohnunterkünfte abseits der einheimischen Wohnviertel oder auf dem Betriebsgelände zugewiesen. Ein Eigensinn in der Lebensgestaltung – Arbeitsplatz- oder Wohnortwechsel – war oft gar nicht angedacht. Doch in demokratischen Gesellschaften – auch in einer so jungen wie der damaligen Bundesrepublik – kann das Alltagsleben von Menschen nicht voneinander separiert werden.  

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Ein Mann und eine Frau stehen in einem Laden vor Regalen voller Zeitschriften. Der Mann hält ein Stück Papier und schaut darauf, während die Frau in die Kamera blickt.å

Sich verselbstständigen

Die Arbeitsplätze der Arbeitsmigrant*innen waren vor allem in der industriellen Massenfertigung angesiedelt. Sie übten oft körperlich schwere Tätigkeiten im Schichtsystem und an Fließbändern aus. Seit 1975 stieg die Zahl der sich selbständig Machenden unter ihnen kontinuierlich an. 

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Eine Gruppe von Menschen sitzt um einen niedrigen Tisch in einem Zimmer. Auf dem Tisch liegen Papiere, Hefte und Kaffeetassen. Die Personen sind in ein Gespräch vertieft und scheinen zu diskutieren oder gemeinsam zu arbeiten.

Wer schreibt, der bleibt

Entgegen aller Pläne (und mancher Wünsche): Deutschland war in den 1990er Jahren längst ein Einwanderungsland. Migrant*innen, deren lokale und kommunale Verteter*innen, aber auch Politiker*innen, Gewerkschaften, Kunstschaffende und Personen aus dem öffentlichen Leben engagierten sich bereits wie heute für ein neues gesellschaftliches Selbstverständnis. 

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