
Langer Atem
Willig, billig und gesund – das erwartete sich die deutsche Wirtschaft von den Arbeitskräften, die sie aus dem Ausland anwarb.
Alle potenziellen Arbeitsmigrant*innen mussten sich in ihren Herkunftsländern einer Gesundheitsüberprüfung unterziehen, bevor sie in Deutschland arbeiten durften. In der deutschen Verbindungsstelle in Istanbul wurde dieses Spirometer genutzt, um mögliche Lungenfunktionsstörungen auszuschließen...
...wie diese Rechnung aufging, zeigt, unter welchen Slogans sich in den Rauchpausen Luft gemacht wurde – denn das als gesund befundene Lungenvolumen wurde auch dazu genutzt, mit Megafonen die vorgebrachten Forderungen nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen zu verstärken.
Langer Atem – Hintergrundinformationen
Der Alltag vieler Arbeitsmigrant*innen war (und ist) oft von schwerer körperlicher Arbeit sowie von niedrigen Löhnen, schlechten und überteuerten Unterkünften, Diskriminierung und Rassismus geprägt. Viele Personen empfanden die Gesundheitsüberprüfungen, die bereits in den Herkunftsländern stattfanden, als übergriffige Zumutung. Für Frauen war auch die Prüfung einer Schwangerschaft obligatorisch. Wurden Schwangerschaften übersehen und Frauen dennoch vermittelt, galten sie als umstrittene Fälle von „Fehlvermittlung“, Arbeitgebende wollten vor allem das kostspielige „Problem“ des Mutterschutzes umgehen. Um die zehn Prozent der Untersuchten wurden von der Vermittlung ausgeschlossen. Die Gründe für die Ablehnung waren vielfältig – auffällige Narben konnten genügen – und erlaubten einen hohen Ermessensspielraum. Die sogenannten migrantischen Arbeitskämpfe, die dann in Deutschland stattfanden und meist selbst von Migrant*innen organisiert wurden, forderten neben besseren Arbeitsbedingungen auch Veränderungen der migrantischen Lebensrealität. Ihren Höhepunkt erreichten sie im Jahr 1973 mit den besonders bekannten Arbeitskämpfen in den Ford-Werken in Köln oder in dem von Frauen ausgehenden Streik bei Pierburg in Neuss. Während der Ford-Streik in der Spaltung der Belegschaft, einer Entfremdung zwischen migrantischen Beschäftigten und Interessenvertretungsorganen und einem massiven Polizeieinsatz eskalierte, gelang bei Pierburg ein großer Erfolg für die Streikenden: Deutsche Kolleg*innen schlossen sich dem Streik an und erstritten gemeinsam die Abschaffung der Leichtlohngruppe 2. Der Streik kann als Meilenstein für den Kampf um die Angleichung der Löhne von migrantischen, aber auch von weiblichen und männlichen Beschäftigen gesehen werden.